Die Transformation: eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte

Wir leben in einer Welt voller Krisen, in der Extremwetter, Desinformationen durch Künstliche Intelligenz und gesellschaftliche Polarisierung den Alltag prägen. Studien zeigen alarmierende Entwicklungen: Planetare Grenzen sind überschritten, Mikroplastik findet sich im Blut, und soziale Ungleichheiten steigen.

Zukunftsforschende sprechen von einer Omnikrise, die nicht nur unser Handeln, sondern auch unser Denken herausfordert. Wie können Medien, Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam Perspektiven schaffen, um den Wandel aktiv zu gestalten?

Multiple Krisen erfordern unser Handeln

Wir leben in einer komplexen Welt, die gekennzeichnet ist durch multiple Krisen, eine weltweite Vernetzung und die Explosion von Wissen und Technologien in immer kürzeren Zyklen. In einer Umfrage des World Economic Forums nach den größten globalen Risiken nannten 66 Prozent der befragten internationalen Fachleute extreme Wetterereignisse, 53 Prozent durch künstliche Intelligenz generierte Fehl- und Desinformationen und 46 Prozent gesellschaftliche und/oder politische Polarisierung [1].Dass die Befürchtungen der Befragten berechtigt sind, sollen hier einige Studienergebnisse zeigen: Sechs der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. Damit befinde sich „die Erde jetzt weit außerhalb des sicheren Handlungsraums für die Menschheit“, schrieben 29 Wissenschaftler*innen im September 2023 [2]. 

Extremwetterereignisse nehmen auch in Deutschland zu: Im Juli 2021 ereignete sich eine Flut enormen Ausmaßes im Ahrtal, bei der 135 Menschen starben [3]. Im Februar 2024 warnten Forschende, dass die Atlantische Meeresströmung AMOC kippen und in der Folge zu einer schnellen Abkühlung des europäischen Klimas führen könne, an das es keine realistischen Anpassungsmaßnahmen gebe [4]. Nur noch 20 Prozent der Bäume in Deutschland sind gesund [5]. 2022 wiesen Forschende zum ersten Mal Mikroplastik in menschlichem Blut nach [6]. Forever Chemicals verseuchen Trinkwasser und Böden und gefährden so die Gesundheit der Menschen [7]. Hinzu kommt ein globaler Anstieg von sozialen Ungleichheiten [8] und Kriege in Europa und Nahost. An mangelndem Wissen liegt es also nicht, dass die Menschheit nicht oder zu langsam handelt, um die Sicherheit und das Überleben der Menschheit zu gewährleisten.

Visionen und Narrative in der komplexen BANI-Welt

Der Autor und Futurist Jamais Cascio hat diese Welt 2021 mit dem Akronym BANI [9] beschrieben: Starre Systeme werden brüchig und können plötzlich zerbrechen. Menschen haben Zukunftsängste und sind ängstlich, wenn sie Entscheidungen treffen sollen. Wir haben keine Sinnesorgane für nicht-lineare Entwicklungen, wie das exponentielle Wachstum in der Corona-Pandemie oder für die langfristigen Folgen der Klimakrise. Incomprehensible: Komplexe Zusammenhänge werden unverständlich. Die Menschen verstehen die Welt nicht mehr.

Zukunftsforschende sprechen von einer Omnikrise [10], die den Übergang zu einer neuen Epoche der Menschheitsgeschichte darstelle. Die wahre Krise liege in einer Wahrnehmungs- und Kognitionskrise. Das bisherige Fortschrittsnarrativ habe uns glauben lassen, alles würde automatisch immer besser. Es brauche Erzählungen von lebenswerten Zukünften, die die Menschen ermutigen, den tiefgreifenden Wandel unserer Zeit mitzugestalten. Es brauche „eine überzeugende Vision einer positiv aufgeladenen ökologischen Zukunft“ [11].

Der Soziologe Stefan Selke schlägt im Kontext von künstlicher Intelligenz ein verheißungsfreies Zukunftsdesign [12] vor, das Visionen von möglichen Zukünften als Vorstellungsraum aufzeigt, um „einen Beitrag zum zivilisatorischen Wandel zu leisten“. Nur das Festhalten an Perspektivenvielfalt und die Nutzung von scientific fiction, also wissenschaftlicher Fiktion, könnten für eine angemessene Diskurserneuerung jenseits von Stereotypen sorgen.

Demokratische Gesellschaften in der digitalen Welt

Diese Masterarbeit befasst sich mit Fragestellungen aus unterschiedlichen Disziplinen: den Medien- und Kommunikationswissenschaften, den Kognitionswissenschaften, der Soziologie, der Informatik und der Zukunftsforschung. Sie beleuchtet zentrale Fragen unserer Zeit, wie die Krise der Demokratie, Zukunftsängste in der komplexen Welt, kognitive Verzerrungen und gesellschaftliche Vielfalt sowie die Möglichkeiten und Risiken der Nutzung von künstlicher Intelligenz.

Das Kapitel Demokratische Gesellschaften in der digitalen Welt zeigt interdisziplinäre Zusammenhänge auf, die für journalistische Medien relevant sind. Ziel ist eine konfliktsensitive und perspektivenreiche Form der Berichterstattung, die resiliente Bürger*innen für stabile Demokratien ausbildet. Im Speziellen betrachten wir fünf Bereiche: erstens die Bedeutung von Medien für moderne Demokratien, zweitens die Entwicklung von digitalen Medien bis hin zu künstlicher Intelligenz, drittens Erkenntnisse aus den Kognitionswissenschaften zur Wahrnehmung und Funktionsweise unseres Gehirns, viertens die Auswirkungen, die die vorigen Punkte auf politische Kultur und Teilhabe haben, und fünftens, welche individuellen personalen Kompetenzen vonnöten sind.

Quellen

[1]

World Economic Forum, The Global Risks Report 2024, Januar 2024.

[2]

K. Richardson et. al, „Earth beyond six of nine planetary boundaries“, Science advances, Bd. 9(37), Nr. eadh2458, 2023.

[3]

J. Seidel, H. Lay und M. Göddertz, Ahrtal unter Wasser – Chronik einer Katastrophe, Juli 2023.

[4]

R. M. van Westen, M. Kliphuis und H. A. Dijkstra, „Physics-based early warning signal shows that AMOC is on tipping course“, Science Advances, Bd. 10, Nr. 6, 2024.

[5]

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Ergebnisse der Waldzustandserhebung 2023, April 2024.

[6]

H. A. Leslie, M. J. van Velzen, S. H. Brandsma, A. D. Vethaak, J. J. Garcia-Vallejo und M. H. Lamoree, „Discovery and quantification of plastic particle pollution in human blood“, Environment International, Bd. 163, Nr. 107199, 2022.

[7]

The Forever Pollution Project, Journalists tracking PFAS across Europe, 2023.

[8]

Oxfam, Inequality Inc. – Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024, 15. Januar 2024.

[9]

J. Cascio, Facing the Age of Chaos, 29. April 2020.

[10]

M. Horx, Die Omnikrise, 22. März 2024.

[11]

L. Papasabbas, Wege aus der Omnikrise, 28. April 2024.

[12]

S. Selke, Zukunftseuphorie als Trost. Gesellschaftliche Funktionen von Verheißungserzählungen über Künstliche Intelligenz, Juli 2022.