Journalistische Medien sind essenziell für stabile Demokratien: Sie informieren, kontrollieren politische Macht und fördern den gesellschaftlichen Diskurs. Wie können sie ihre Verantwortung in einer zunehmend komplexen Welt wahrnehmen? Welche Rolle spielen Medien im digitalen Zeitalter und welche Kompetenzen brauchen Journalist*innen heute, um Demokratien zu stärken und Orientierung zu bieten.
Kontrolle und Verantwortung
Journalistische Medien als Vierte Gewalt [13] im Staat haben einen großen Einfluss auf die Stabilität von Demokratien. Es ist ihre primäre Aufgabe, Bürger*innen ausgewogen und fair zu informieren. Rezipient*innen können sich auf Basis vielfältiger Berichterstattung mit Meinungen auseinandersetzen, die nicht den eigenen entsprechen.
Journalistische Medien zeigen Missstände auf, machen sie öffentlich und tragen so zur Kontrolle politischen Handelns bei. In Deutschland wurden 1973 mit dem Pressekodex ethische Standards für den Journalismus formuliert. In der Präambel heißt es unter anderem, dass journalistische Medien sich „bei ihrer Arbeit der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit“ [14] bewusst sein müssten.
Neben der Kontrollfunktion müssen Medien auch „Gefahren für die Demokratie wie ein Seismograf aufgreifen“ [15], sagt der Journalist und Autor Michael Kraske. Er wünsche sich, dass Redaktionen ein hohes Maß an Sensibilität entwickelten, wie sie beispielsweise über rechtsextreme Narrative und Begriffe berichteten, „wissend, dass aus solchen Emotionalisierungen und Mobilisierungen, die auf der Straße und im Netz stattfinden, am Ende auch rechte Gewalt erwächst.“
Der Journalist und Autor Nils Minkmar sagt, Teil der Orientierungsfunktion von Medien sei es, für eine offene Gesellschaft einzustehen. Es gehe um den Schutz einer freiheitlichen Grundordnung. Errungenschaften, wie die Pressefreiheit und das allgemeine Wahlrecht seien immer noch in vielen Ländern bedroht und man müsse sie verteidigen [15].
Die Entstehung und der Aufstieg von Demokratien
Im 5. Jahrhundert v. Chr. entstand in Athen die erste Demokratie [16]. Im Rat der 500, der Volksversammlung, waren nur männliche Vollbürger abstimmungsberechtigt. Frauen, Sklaven und Fremde waren von der Demokratie ausgeschlossen. Entscheidungen wurden auf Basis von Rede und Gegenrede in direkter Abstimmung getroffen. Eine Schwäche dieser Demokratieform bestand darin, dass sofort und unmittelbar abgestimmt wurde. Sie war damit anfällig für Stimmungen und eignete sich nicht für komplexe Fragestellungen. Die attische Demokratie überdauerte etwa zwei Jahrhunderte und endete 322 v. Christus.
Der Aufstieg der modernen Demokratie, wie wir sie heute kennen, begann im 20. Jahrhundert. Sie ist unter anderem gekennzeichnet durch freie Wahlen und die Teilung der Gewalten, die sich gegenseitig kontrollieren: Regierung und Verwaltung als Exekutive, gesetzgebendes Parlament als Legislative und die Rechtsprechung als Judikative. Es dauerte teilweise noch lange, bis alle an der Demokratie beteiligt wurden: In Deutschland wurde 1918 das Frauenwahlrecht [17] eingeführt, in der Schweiz dauerte es noch bis 1971 [18]. In Parlamenten sind Frauen auch heute noch unterrepräsentiert, im Deutschen Bundestag sitzen aktuell 34,7 Prozent weibliche Abgeordnete [19].
Die Rolle von Medien in Demokratien
Medien, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher ermöglichen die Speicherung von Wissen sowie Kommunikations- und Reflexionsprozesse über längere Zeiträume und waren somit die Basis für längerfristige gesellschaftliche Aushandlungsprozesse. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht einen wesentlichen Zusammenhang zwischen der massenhaften Verbreitung von Zeitungen und dem Aufstieg von modernen Demokratien: „Indem Zeitungen gelesen wurden, verschaffte man sich nicht nur Wissen über die gerade zur Debatte stehenden Probleme, sondern hatte auch in Auseinandersetzung mit den jeweiligen Auffassungen der politischen Parteien die Möglichkeit zu einer eigenen Meinungsbildung“ [20, p. 70].
Social Media und die Bedrohung von Demokratien
Im nächsten Kapitel werden wir sehen, wie die Erfindung des Internets und der Erfolg von Social Media-Plattformen die Rahmenbedingungen für Journalismus und Medien grundlegend verändert haben. Im etwa gleichen Zeitraum ist ein Rückgang von Demokratien zu beobachten (Abbildung 1): Von 2007 bis 2012 gab es einen Höchststand mit 43 liberalen Demokratien weltweit [21]. Gemessen an der Anzahl von Menschen, die in liberalen Demokratien leben, befinden wir uns aktuell laut dem Democracy Report 2024 des V-Dem-Institutes [22] wieder auf dem Niveau von 1985, also vor dem Zusammenbruch der europäischen Ostblock-Staaten. 16 der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden nach dem Demokratie-Index des The Economist [23] als unvollständige Demokratien eingestuft.
Das Jahr 2024 stellt ein globales Superwahljahr dar [24], knapp die Hälfte der Weltbevölkerung wird an die Urnen gebeten, darunter Indien, die USA, Pakistan und die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Große Demokratien, wie die USA, könnten geschwächt werden. Es stellt sich die Frage, wie Medien ihre Berichterstattung verändern müssen, um ihre Verantwortung wahrzunehmen und damit die Demokratie auch in Zukunft zu stärken. Welche Zukunftskompetenzen benötigen Journalist*innen und inwiefern müssen Medienhäuser ihre Rolle verändern, um den Mediennutzer*innen die komplexe Welt zu erklären und einen konstruktiven Diskurs in der Gesellschaft zu ermöglichen?
Quellen
[13] | G. Schneider und C. Toyka-Seid, Vierte Gewalt. |
[14] | Presserat, Pressekodex – Ethische Standards für den Journalismus, 2021. |
[15] | A. Allroggen und B. Baetz, Wächter ohne Amt – Deutschlands Medien und die Demokratie, 18. Mai 2023. |
[16] | Duden Learnattack, Schülerlexikon Geschichte: Athen. |
[17] | Jugendnetzwerk Konz e.V. (Junetko), 100 Jahre Frauenwahlrecht, 2018. |
[18] | Die Bundesversammlung – das Schweizer Parlament, Frauenstimmrecht in der Schweiz: 100 Jahre Kampf. |
[19] | Deutscher Bundestag, Parlament – Der Bundestag wird weiblicher und jünger. |
[20] | H. Münkler, Die Zukunft der Demokratie, Brandstätter, 2022. |
[21] | V-Dem-Institute, Anzahl der politischen Regierungsform der Länder weltweit in den Jahren 1900 bis 2023, 7. März 2024. |
[22] | V-Dem-Institute, Democracy Report 2024, März 2024. |
[23] | The Economist Intelligence, Democracy Index 2023 – Age of conflict, 2024. |
[24] | R. Wahls, Globales Superwahljahr 2024 – Wer wann wo weltweit wählt, 11. Februar 2024. |