Online-Lehre, Hybrides Lernen, Blended Learning, Inverted Classroom. Begriffe, die im Frühjahr 2020 heiß diskutiert werden. Die Corona-Pandemie zwingt Lehrende innerhalb kürzester Zeit ihr Lehrkonzept umzustellen von Präsenzlehre auf Online-Lehre.
Wie kann das gehen? Und warum haben wir das nicht schon früher gemacht? Ja, warum? Ich glaube, weil Menschen zum einen gerne an Gewohnheiten festhalten und zum anderen an den Schulen und Hochschulen eine technische Infrastruktur mit Videokonferenzsystemen und Kommunikationsplattformen nicht wirklich vorhanden war.
How it started: Präsenzlehre
So habe ich mein Lehrkonzept vor Corona beschrieben:
Das didaktische Konzept folgt dem Prinzip des selbstgesteuerten Lernens. Theoretisches Wissen und Anwendungsbeispiele werden in kurzen Präsenzeinheiten vermittelt. In praktischen Übungen wenden die Studierenden das erworbene Wissen an. Reflexion und Feedback geschieht in Einzel- und Gruppengesprächen, in denen die Ergebnisse analysiert und reflektiert werden
Und so habe ich meinen Kurs umgearbeitet…
How its going: Online-Kurs „Crossmediale Medienproduktion“
Schnell wird mir klar, dass es nicht sinnvoll sein würde, die bisherige Lehrform 1:1 in die Videokonferenz zu übertragen. Weder für mich noch für die Studierenden. Ich würde meinen Kurs also umbauen müssen, unterteilen in kleine Einheiten mit passenden Übungen und Aufgaben. Die kostbare Kontaktzeit in der Videokonferenz will ich nutzen für Feedback und Diskussionen – und um die Studierenden kennenzulernen.
Tutorials ersetzen die Wissensvermittlung in Präsenz
Als erste Maßnahme überarbeite ich meine Präsentationen, die ich sonst zur Vermittlung von Fachwissen nutzte. Ich unterteile die Themen in Module mit etwa 10 bis 15 Folien, die ich mit Fotos bebildere.
Den Text spreche ich im Home-Office mit einem Ansteckmikrofon am Smartphone ein, so dass Videos mit einer Länge von etwa 10 bis 15 Minuten entstehen. Der Vorteil: Ich bin gezwungen meine Unterlagen noch einmal intensiv zu überarbeiten und zu präzisieren.
►Tutorials Crossmediale Medienproduktion
Nähe schaffen und die Distanz überbrücken
Ich bin davon überzeugt, dass gute Kommunikation in der Lehre essentiell ist für den Lernerfolg. In der Online-Lehre gilt das noch mehr als zuvor. Wenn sich Lehrende und Lernende nicht mehr persönlich im Hörsaal sehen und miteinander sprechen können, muss es eine niedrigschwellige und unkomplizierte Möglichkeit geben, individuell in Kontakt zu treten, Fragen zu stellen, kurzfristig Informationen zu senden.
Kommunikation und Organisation
An meiner Hochschule gibt es zwar schon lange eine Lernplattform, sie ist allerdings für meine Zwecke zu statisch. Es gibt ein Forum, aber keine Möglichkeit individuell oder mit Kleingruppen zu chatten. Ich arbeite deshalb mit Basecamp, das für Lehrende kostenlos ist.
Hier kann ich Aufgaben anlegen, einen Kalender pflegen, Dokumente hochladen, ein Messageboard mit Kommentarfunktion anlegen, Personen markieren. Ähnlich wie bei Sozialen Netzwerken werde ich über alle Aktivitäten, die mich betreffen, vom System zeitnah informiert – wenn ich möchte auch in der App auf dem Smartphone.
Übungen und Aufgaben in Eigenarbeit
Zu den Tutorials formuliere ich Aufgaben oder sammele Beispiele, die die Tutorials ergänzen und von den Studierenden kommentiert werden sollen.
Die Kommentarfunktion in Basecamp stellt sich als sehr wertvoll heraus. Für jedes Beispiel, das die Studierenden analysieren sollen, lege ich ein to-do an, in dem ich meine Fragen formuliere. Die Studierenden antworten in der Kommentarfunktion. Der Vorteil: Mit jeder weiteren Antwort erfahren sie, wie ihre Kommilitonen das Beispiel einschätzen und können so voneinander lernen.
Diese Funktion ist vergleichbar, mit der Diskussion im Hörsaal, bei der auch passive Studierende von den Antworten ihrer Kommilitonen profitieren. Auch ich kann so erkennen, was sie gut oder weniger gut verstanden haben und in einer späteren Videokonferenz darauf eingehen.
Videokonferenzen: Die unheimliche Stille
Der größte gefühlte Unterschied sind ohne Zweifel die Videokonferenzen. Sie sind nicht zu vergleichen mit der Situation einer Präsenzveranstaltung, in der ich die Präsenz der Anwesenden spüren und hören kann. Nichts davon wird transportiert in einer Videokonferenz. Damit es keine Rückkopplungen gibt, haben die Studierenden ihre Mikrofone ausgeschaltet. Es ist still, man hört kein Raunen, kein Lachen und auch keine Unruhe. Der Rückkanal ist einfach nur still.
Die größte Herausforderung besteht also darin, in Dialog zu kommen. Zugegeben, im Hörsaal melden sich meist auch nur die gleichen fünf Personen. In der Videokonferenz wird dieser Mangel an Dialog allerdings stärker spürbar.
Gesprächsführung & Feedback
Daher mache ich an den ersten zwei Terminen eine Runde, rufe also alle namentlich auf, damit jede und jeder zu Wort kommt. Das kostet natürlich Zeit, die aber wichtig und gut investiert ist. Was in der Videokonferenz kaum noch stattfindet, ist die reine Wissensvermittlung. Diese Funktion übernehmen die Tutorials und die Übungen. Diese Zeit spare ich also ein.
Ab dem dritten Termin ergänzen Feedback und Fragerunden die Kontaktzeit in der Videokonferenz. Ab der sechsten Woche verabrede ich mich mit den Studierenden für Zeitslots von 20 bis 30 Minuten in Kleingruppen. Mit vier bis sechs Studierenden in einer Videokonferenz lässt es sich sehr gut und effektiv arbeiten.
Was bleibt?
Sehr viel wird bleiben, sobald Präsenzlehre wieder möglich ist. Die Tutorials, die Aufgaben, die Kommunikation über Basecamp und auch die Videokonferenz mit den Kleingruppen funktionieren sehr gut und werden bleiben. Die Kontaktzeiten mit dem ganzen Semester, insbesondere in der Kennenlernphase sowie praktische Einheiten werde ich dagegen gerne wieder in Präsenz abhalten, um die Anwesenheit der Studierenden spüren und hören zu können.
Wer bist du? Was willst du lernen?
Noch eine Erkenntnis zum Schluss: Die erste „Aufgabe“ oder besser Bitte an die Studierenden bringt gleich zu Beginn die größte Überraschung mit sich. Ich bitte sie, sich mir kurz vorzustellen:
Wer bist du?
Was macht dir Spaß?
Was möchtest du gerne lernen?
Welche Kenntnisse und Fähigkeiten bringst du vielleicht schon mit?
Das kann die Schülerzeitung sein, ein eigener Blog, die Moderation der Abschlussfeier, Fotografieren, Videos drehen, Zeichnen, Musik machen oder Schreiben. Dabei gibt jede*r nur so viel von sich preis, wie er oder sie es möchte.
Die Form bleibt ebenfalls den Studierenden überlassen. Vielleicht möchten sie eine Visitenkarte gestalten oder eine Insta-Story, ein Selfie-Video aufnehmen, etwas zeichnen, einsprechen, singen oder in Reimform bringen?
Ich kann verraten, dass ich sehr vielfältige und sehr persönliche Antworten erhalten habe. Es waren tatsächlich Gedichte dabei! Genauso wie Antworten, die nicht so viel über den oder die Absender*in verraten haben, die Aufgabe aber trotzdem erfüllt haben.
Danke dafür 🙂