Die Gesellschaft: politische Kultur und Teilhabe

Das Vertrauen in Nachrichten sinkt, Nachrichtenvermeidung steigt, und rechte Ideologien finden in Krisenzeiten Zulauf. Gleichzeitig wird die deutsche Gesellschaft diverser, doch Medien bilden diese Vielfalt oft unzureichend ab.

Wie kann Demokratie gestärkt werden, wenn kurzfristige Politiken langfristige Herausforderungen ignorieren? Studien zeigen, dass mehr Bürgerbeteiligung und partizipative Demokratie Wege aus der Krise bieten könnten. Wie können Medien und Politik den Dialog fördern und Vielfalt als Stärke nutzen?

Merkmale liberaler Demokratien

Der Demokratie-Index [23] für vollständige bzw. liberale Demokratien bewertet den Wahlprozess und Pluralismus, die Funktionsweise der Regierung, politische Teilhabe, politische Kultur sowie die Bürgerrechte. Politische Kultur meint einen ausreichenden gesellschaftlichen Konsens, der eine stabile und funktionierende Demokratie stützt. Unter politischer Teilhabe wird verstanden, wie groß der Anteil der Bürger*innen ist, die Politik in den Medien verfolgen.

Wir leben in einer komplexen Welt multipler Krisen, in der wir immer schneller Lösungen für existentielle Fragen der Menschheit finden müssen. Hierfür ist es wichtig, dass Bürger*innen politisch teilhaben, sich mit Meinungen auseinandersetzen, die nicht ihren eigenen entsprechen und in Dialog kommen. Die deutsche Gesellschaft wird immer diverser, aber viele gesellschaftliche Gruppen sind in den Medien unterrepräsentiert, sowohl in den Redaktionen als auch in deren Berichterstattung.

Abnehmendes Vertrauen und Nachrichtenvermeidung

Der Reuters Digital News Report 2023 [49] beobachtet ein abnehmendes Interesse und sinkendes Vertrauen in Nachrichten bei Nutzer*innen. Mit 52 Prozent gab nur gut die Hälfte der Deutschen an, dass sie stark oder sehr stark an Nachrichten interessiert sei, 2015 waren es noch 74 Prozent. In Deutschland vertrauten 43 Prozent der Menschen Nachrichten die meiste Zeit, 2015 waren es noch 60 Prozent. 38 Prozent sagten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland sei für sie persönlich wichtig, 41 Prozent halten ihn für die Gesellschaft wichtig. Problematisch sieht der Bericht das Phänomen der Nachrichtenvermeidung. Weltweit gaben 36 Prozent der Befragten an, dass sie aktiv Nachrichten vermeiden. 2017 lag der Wert bei 29 Prozent.

Journalist*innen hielten 2022 laut Reuters Digital News Report insbesondere die Themen für besonders relevant, weshalb Menschen dazu neigten, Nachrichten teilweise oder ganz zu vermeiden, wie politische Krisen, internationale Konflikte, die globale Corona-Pandemie und die Klimakrise [50, p. 14]. Menschen, die Nachrichten vermeiden, seien eher an positiven oder lösungsorientierten Nachrichten interessiert und weniger an der großen Nachrichtenstory des Tages [49, p. 11]. Aus psychologischer Perspektive ist es ein gesunder Selbstschutz, schlechte Nachrichten nicht zu konsumieren, wenn sie als zu belastend empfunden werden. Für Demokratien ist es jedoch gefährlich, wenn Teile der Bevölkerung von aktuellen Nachrichten abgekoppelt sind.

Laut Vielfaltsbericht 2022 der Medienanstalten [51] werden sogenannte Intermediäre, wie soziale Netzwerke, Messengerdienste, Videoportale oder Suchmaschinen immer häufiger als Informationsquelle genutzt, insbesondere von den 14- bis 29-Jährigen. Die informierende Tagesreichweite von Intermediären lag im Jahr 2022 über alle Altersgruppen hinweg bei 45,4 Prozent. Das Internet und soziale Netzwerke sind also wichtige Medien zur Verbreitung journalistischer Inhalte und damit der politischen Teilhabe.

Die distanzierte Mitte

Rechte Parteien bekommen in immer mehr Demokratien Zulauf. Die Studie Die distanzierte Mitte [52] stellt in Deutschland einen starken Anstieg von Menschen mit einem rechtsextremem Weltbild fest. Lag ihr Anteil in den vergangenen neun Jahren zwischen zwei und drei Prozent der Bevölkerung, stieg er 2022/23 auf acht Prozent. Auch der Graubereich, also Menschen, die teilweise antidemokratische Ansichten vertraten, erhöhte sich von 12 auf 20 Prozent.

Die Studie möchte die Frage beantworten, inwiefern die gesellschaftliche Mitte Deutschlands gefährdet ist, rechtsextremer oder antidemokratischer Ideologie zuzustimmen. Dabei geht es auch um den Widerspruch, dass Menschen teilweise rechtspopulistischen oder menschenfeindlichen Ideologien zustimmen, obwohl sie sich selbst einer demokratischen Mitte zuordnen.

Der Autor der Mitte-Studie, Andreas Zick, erklärt: „Menschen suchen in Krisenzeiten in Medien nach Erklärungen und bilden daraus ihre Einstellung aus. Dabei bekommen diejenigen Menschen oder Parteien die meiste Aufmerksamkeit, die einfache Antworten und Lösungen anbieten“ [52, p. 21]. Angesichts der multiplen Krisen bestehe die Gefahr, dass sich in Deutschland die demokratische Mitte auf die extremistischen Ränder zubewege oder diesen Zugang zur Mitte verschaffe. Diese Entwicklung sei bedenklich, weil laut Zick in Krisenzeiten genau das Gegenteil notwendig wäre: „Krisen erfordern eine Aushandlung von Beurteilungen, Werten und Normen, und sie zwingen uns, unsere Haltung zur Demokratie neu zu justieren“ [52, p. 21].

Das Ideal des demokratischen Rechtsstaats

Münkler beschreibt als Ideal des demokratischen Rechtsstaats eine Kombination aus Konsens- und Mehrheitsdemokratie. Langfristige Reformprozesse würden demnach in aufwändigen Aushandlungsprozessen diskutiert. Ein einmal erreichter Konsens könne dann nicht ohne Weiteres von einer Nachfolgeregierung geändert werden. Diese Gesellschaftsverträge bildeten den Rahmen, innerhalb dessen kurzfristige und weniger komplexe Fragen durch Mehrheitsabstimmungen entschieden würden [20].

Regierungen denken häufig nur im kurzen Zeitraum einer Legislaturperiode. Grundsätzliche Herausforderungen, wie die Klimakrise, das Gesundheits- oder das Bildungssystem werden nicht langfristig angegangen. So wird die Lösungsfindung immer weiter in die Zukunft verlagert, bis Probleme so dringend werden, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Der Umweltwissenschaftler und ehemalige Co-Präsident des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker, sieht eine große Gefahr darin, dass Politik nicht handelt, aus Angst nicht wiedergewählt zu werden: „Man kann abgewählt werden, wenn man das richtige tut, und wiedergewählt werden, wenn man das falsche tut. Das ist das eigentliche Problem der Demokratie“ [53].

Quellen

[20] H. Münkler, Die Zukunft der Demokratie, Brandstätter, 2022.
[23] The Economist Intelligence, Democracy Index 2023 – Age of conflict, 2024.
[49] N. Newman, R. Fletcher, K. Eddy, C. T. Robertson und R. K. Nielsen, Digital News Report 2023, 2023.
[50] N. Newman, R. Fletcher, C. T. Robertson, K. Eddy und R. K. Nielsen, Digital News Report 2022, 2022.
[51] die medienanstalten – ALM GbR (Hrsg.), Vielfaltsbericht 2022 der Medienanstalten, die medienanstalten – ALM GbR, Oktober 2022.
[52] A. Zick et al., Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23, 2023.
[53] A. Rhode, Campus in Action – Nachhaltige Zukunft, GLFtv Hochschulfernsehen, 15. November 2019.