KI, Demokratie und Aufmerksamkeit – meine Nachlese der re:publica 25

Im Sommer 2023 habe ich festgestellt: Seit etwa 2010 gibt es weltweit weniger vollständige Demokratien. Zur gleichen Zeit begannen Social-Media-Plattformen, bisher chronologisch angezeigte Inhalte per Algorithmus für Nutzer*innen zu sortieren. Das wirft für mich drei Fragen auf: Haben diese Algorithmen zur Schwächung von Demokratien beigetragen? Was können Medien, Politik und Gesellschaft konkret dagegen tun? Und wie verändert generative KI das Ganze weiter? Fragen zur demokratischen Gesellschaft, mit denen ich mich in meiner Masterarbeit befasst habe und die auch im Fokus der re:publica 25 Generation XYZ standen. Neun ausgewählte Vorträge zum Thema.

Markus Beckedahl - eine bessere digitale Welt ist trotz alledem möglich

Wenige Digitalkonzerne bestimmen den öffentlichen Diskurs: Ihre Algorithmen fördern Polarisierung und ihre Plattformen folgen Profitinteressen statt demokratischen Werten. Nur wenn wir Kontrolle über unsere digitalen Räume zurückgewinnen, können wir sicherstellen, dass unsere Gesellschaft frei, gerecht und demokratisch bleibt. 

 „Der Demokratie-Markt ist noch nicht voll“, sagt Markus Beckedahl. Es brauche Influencer*innen, die diesen Gedanken in neue Zielgruppen tragen. Neue Verbündete müssten gefunden werden, die wertegetriebene Geschäftsmodelle etablieren. Und er möchte mit Konservativen und Liberalen ins Gespräch kommen, um sie auf „unsere Seite“ zu ziehen. Mit dem neu gegründeten Zentrum für Digitalrechte und Demokratie kämpft er dafür.

Ellen Heinrichs - re:think journalism! Survivalstrategien für die Medienbranche

„Überleben werden die, die das Vertrauen ihrer Nutzenden genießen und echte Beziehungen aufgebaut haben“, sagt Ellen Heinrichs von Bonn Institute für konstruktiven Journalismus und macht drei Vorschläge für einen besseren Journalismus:

1. Journalist*innen müssten noch viel besser die Bedürfnisse der (einzelnen) Menschen verstehen. Es lohne sich, spezifische Zielgruppen zu identifizieren, wie beispielsweise Mütter und diese dann selbst zu Wort kommen zu lassen, denn Menschen wollen gesehen und gehört werden.

2. Hoffnung und Lösungen bieten: Journalismus habe eine Wirkung und wir müssten entscheiden, welche Wirkung wir haben wollen. Journalist*innen haben (aufgrund ihres Berufs) ein übermäßig negativ geprägtes Weltbild. Gleichzeitig gehören auch sie zu den Menschen, die Nachrichten aktiv vermeiden. Die Nachrichten sind für die Menschen häufig zu deprimierend. Medien sollten deshalb häufiger kleine Fortschritte und Lösungen aufzeigen. Lösungsorientierter Journalismus schaffe Vertrauen. Studien zeigen, dass Menschen dadurch nicht unbedingt ihr Handeln ändern, aber sie denken, eine Lösung wäre möglich.

3. Zuhören und Zusammenhalt fördern: Laut der Studie Journalismus & Demokratie der TU Dortmund halten 87 Prozent der Deutschen Journalismus wichtig für das Funktionieren einer Demokratie. 73 Prozent wünschen sich, dass Journalismus zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt.

Dirk von Gehlen - mehr Aufmerksamkeit für Aufmerksamkeit!

Wem oder was schenken wir unsere Aufmerksamkeit? Ein Überfluss an Information führt zu einer Armut an Aufmerksamkeit. Dirk von Gehlen möchte uns, Selbstwirksamkeit in Zeiten der Überforderung (zurück) bringen und fordert eine aufgeklärte Aufmerksamkeit als politische Kategorie: Wir müssen uns bewusst werden, dass Accounts in Social Media nicht Menschen sind, dass diese Accounts nicht die politische Realität abbilden, und dass es aushaltbar ist, dass auf einer anderen Stage jemand etwas sagt, was ich nicht richtig finde. Das sei die Idee von Toleranz. In einer freien Gesellschaft bestehe die wahre Freiheit darin, seine Meinung ändern und das laut sagen zu dürfen.

Philipp Lorenz-Spreen - gesellschaftliche Kipppunkte: die Spirale aus Aufmerksamkeit und Plattformmacht und wie wir da noch rauskommen

Die Digitalisierung erzeugt eine systemische Veränderung. Wir sehen ein exponentielles Wachstum von Informationen: von zwei Zetabyte im Jahr 2010 zu 123 Zetabye 2023 und geschätzten 394 Zetabyte 2028. Dies führt zu einer Beschleunigung der kollektiven Aufmerksamkeit, unser Gehirn kommt nicht mehr mit. Die Lücke zwischen unserer kognitiven Aufmerksamkeit und den exponentiell wachsenden Informationen wird immer größer, was den Wettkampf verschärfen wird. 

Die Forschung von Philipp Lorenz-Spreen zeigt, dass sich die kollektive Aufmerksamkeit beschleunigt, also dass die Themen, die in der Gesellschaft Aufmerksamkeit erhalten immer steilere Kurven zeigen, die schneller ansteigen und wieder abfallen. Auch die Inhalte haben sich messbar verändert: Die Anzahl der negativen Headlines hat zugenommen, die der positiven hat abgenommen. Wir-gegen-sie-Inhalte haben zugenommen, wovon besonders populistische Kräfte profitieren. Algorithmen verstärken den Effekt.

Fast 500 Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen digitalen Medien und politischem Verhalten. Positiv ist zu sehen, dass sich dadurch mehr Menschen informieren und politisch engagieren. Auf der negativen Seite haben das Vertrauen in Medien und Politik abgenommen und gleichzeitig Hass, Polarisierung und Populismus deutlich zugenommen.

Ein Kipppunkt ist erreicht, wenn sich Effekte selbst verstärken. In den USA sehen wir eine Verknüpfung von politischer Macht mit der Macht digitaler Plattformen, die für Philipp Lorenz-Spreen einen sozialen Kipppunkt erreicht hat und aus dem es dann immer schwieriger wird herauszukommen. 

Philipp Lorenz-Spreen forscht unter anderem im Prosocial Design Network, das Evidenzen sammelt für Designelemente, die prosoziales Verhalten fördern. 

Martin Andree - Cyber-Libertarismus, die neue Koalition aus Tech & Rechtspopulisten

„Verdammt nochmal, sind wir geblitzdingst worden?“, fragt Martin Andree. „Das hätten wir doch schon so lange sehen müssen. Die Tech-Libertären haben das doch nicht im Geheimen getan.“ In seinem Vortrag widerlegt er drei Narrative über das Internet, die wir schon oft gehört haben:

Narrativ 1: Die digitale Revolution wirkt sich dezentralisierend und demokratisierend aus. Nach seiner Studie Atlas der digitalen Welt laufen nahezu 100 Prozent des Traffics im Internet über die großen Plattformen.

Die Grafik zeigt, der Traffic im Internet verläuft entlang der Y-Achse: Die großen Plattformen haben eine fast vollständige Monopolstellung. Foto aufgenommen beim Medienpolitischen Kongress im November 2024 in Stuttgart.
Die Grafik zeigt, der Traffic im Internet verläuft entlang der Y-Achse: Die großen Plattformen haben eine fast vollständige Monopolstellung. Foto aufgenommen beim Medienpolitischen Kongress im November 2024 in Stuttgart.

Narrativ 2: Die Plattformen befreien die Menschen, indem sie ihnen ein offenes Forum bieten. Wir können am Beispiel von Twitter/X sehen, was passiert, wenn sich Superreiche und Mächtige, Plattformen kaufen und die Algorithmen an ihr Weltbild anpassen.

Narrativ 3: Die digitale Revolution ist eine ähnliche Befreiung wie die Druckerpresse. Damals wurden die Menschen von Papsttum und Monarchie befreit. Martin Andree fragt: Sollen wir heute von der Tyrannei der Demokratie befreit werden?

Martin Andree: Es wäre leicht, das Internet zu befreien. Foto aufgenommen beim Medienpolitischen Kongress im November 2024 in Stuttgart.
Martin Andree: Es wäre leicht, das Internet zu befreien. Foto aufgenommen beim Medienpolitischen Kongress im November 2024 in Stuttgart.

Statt unsere Freiheiten durch Regulierung einzuschränken, müssten wir gegen die Monopolmonster kämpfen uns von den Abhängigkeiten der Plattformen befreien. Martin Andree macht vier – im Prinzip einfache – Vorschläge: Outlinks erlauben, mit offenen Standards arbeiten, wirtschaftliche Trennung von Übertragungsweg und Inhalt sowie eine Obergrenze von 30 Prozent Marktanteil.

Literatur: David Golumbia, CyberlibertarismMartin Andree, Big Tech muss weg

Save Social - Wie bekommen wir ein besseres Netz?

„Big Tech tut gerne so als wären sie die Rebellenallianz, dabei sind sie schon sehr lange das Imperium“, sagt das Känguru. Es will nicht verbieten, sondern erlauben, zum Beispiel, die von Martin Andree geforderten Outlinks. Marc-Uwe Kling unterstützt die Initiative Save Social. 20 Minuten Lesung und 40 Minuten Paneldiskussion zur Rettung von sozialen Netzwerken als demokratische Kraft.

Jöran Muuß-Merholz - was wir Erwachsenen bei „Future Skills“ falsch verstanden haben. Ein Plädoyer für ein cross-generationales Lernprojekt

Jöran Muuß-Merholz - Was wir Erwachsenen bei „Future Skills“ falsch verstanden haben. Ein Plädoyer für ein cross-generationales Lernprojekt

Jöran Muuß-Meerholz liest knapp 100 Future Skills in einer Minute vor, um anschließend seine Definition zu formulieren: „Future Skills sind heute und morgen relevante Kompetenzen, zu denen es heute an Verbreitung und Lehrangeboten mangelt, die individuelle Eigenschaften betreffen, welche wir durch lernen verändern können, und zu denen die Erwachsenen von heute ebenso Bedarf bzw. Mangel haben, wie die Erwachsenen von morgen.“

Kompetenz sei mehr als Qualifikation und versetzevuns in die Lage, zukünftige Probleme zu lösen, auf andere  zu Kontexte übertragen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Sein Lösungsvorschlag: crossgenerationale Lerngemeinschaften.

Bob Blume - 404: Bildung not found - Wie Lernen wieder berühren kann

„Sich mit der Kultur der Digitalität und KI auszukennen, heißt andere Fragen zu stellen“, sagt Bob Blume. Die Frage sei nicht, wie kriegen wir KI aus den Klassenarbeiten weg, sondern: „Wie können wir Klassenarbeiten schreiben, bei denen man KI nutzen und reflektieren kann, so dass die Diskrepanz zwischen der schulischen Realität und der Welt, in der wir leben, nicht immer größer wird.“

Bob Blume fordert verbindliche und fächerübergreifende Medienbildung, multiprofessionelle Teams (Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen, pädagogische Begleiter*innen, Admins) und Mut zum produktiven Scheitern.

Björn Ommer - Opening Keynote: Generative KI und die Zukunft der Intelligenz

Generative KI ist eine Enabling Technologie, die neue Anwendungen ermöglicht. Sie kann Texte schreiben, Bilder generieren, medizinische Diagnosen unterstützen, Software entwickeln . Die rasante Entwicklung hat dazu geführt, dass nur noch wenige Tech-Konzerne die Ressourcen besitzen, um große KI-Modelle zu trainieren. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit, vor allem für Länder wie Deutschland oder Regionen wie Europa, die bei Infrastruktur und Datenzugang hinterherhinken.

Lange Zeit dachte man: Je größer ein KI-Modell, desto besser. Doch diese Strategie stößt an Grenzen, sowohl technisch als auch finanziell. Stattdessen geht es heute darum, effizientere und spezialisierte Modelle zu bauen, die auch mit weniger Ressourcen auskommen.

Laut Björn Ommer braucht Europa eigene Lösungen: offene Forschung, unabhängige Technik und klare Regeln für den Umgang mit KI. Wenn wir diese Technologie mitgestalten wollen, müssen wir jetzt handeln,sonst bestimmen andere die Spielregeln.